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AutorenbildGiuliani Silvia

Der Everest wächst um 2 mm pro Jahr: wie ist das möglich?

Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass der Mount Everest jedes Jahr um etwa zwei Millimeter wächst. Das bedeutet, dass der höchste Berg der Welt in den letzten 89.000 Jahren zwischen 15 und 20 Meter höher geworden ist. Interessanterweise trägt ein Fluss, der seit Jahrtausenden die Region um den Himalaya erodiert, entscheidend zu diesem Wachstum bei - ein Phänomen, das auf den ersten Blick paradox erscheinen mag.


Mount Everest: Der unaufhaltsam wachsende Gipfel


Der Mount Everest, auch Chomolungma (tibetisch) und Sagarmāthā (nepalesisch) genannt, ist mit 8.848,86 Metern der höchste Berg der Erde. Seit Jahrzehnten zeigen geophysikalische Messungen, insbesondere mit Hilfe von GPS, dass sich der Gipfel des Mount Everest um etwa 2 Millimeter pro Jahr hebt. Diese Hebung ist das Ergebnis tektonischer Prozesse, aber eine neue Studie der Chinesischen Universität für Geowissenschaften in Peking und des University College London deutet darauf hin, dass auch ein Fluss eine entscheidende Rolle spielt.


Normalerweise würde man annehmen, dass die Erosion durch Wasser, Wind und Wetter den Gipfel allmählich abtragen müsste. Doch laut den Forschern trägt gerade die Erosion eines Flusses dazu bei, dass der Everest immer höher wird - und das seit 89.000 Jahren.


Fluss und Erosion: Wie ein Fluss den Everest hebt


Das Schlüsselphänomen hinter der ungewöhnlichen Hebung des Mount Everest heißt Fluss-Erosion. Vor etwa 89.000 Jahren begann der Fluss Arun, der im Himalaya zwischen Nepal und Tibet fließt, mit seiner enormen Erosionskraft eine tiefe Schlucht in den Berg zu graben. Irgendwann erreichte er einen anderen Fluss, den Kosi, und „schluckte“ ihn. Das heißt, der Arun veränderte den Lauf des Kosi, was zu einer dramatischen Veränderung des Flussnetzes führte. Der neu entstandene, mächtigere Fluss floss mit höherer Geschwindigkeit und transportierte große Mengen an Sedimenten ab. Dieser verstärkte Erosionsprozess, der durch die Eindämmung des Flusses ausgelöst wurde, führte dazu, dass die umgebende Erdkruste, einschließlich des Everest-Massivs, allmählich „leichter“ wurde. Je weniger Material sich an der Oberfläche des Berges befand, desto stärker wurde ein geophysikalisches Phänomen, das als isostatische Anpassung bezeichnet wird.


Isostatische Anpassung: Der Archimedische Effekt im Himalaja


Die isostatische Anpassung ist ein Prinzip, das in der Geologie oft mit dem Auftrieb eines schwimmenden Objekts verglichen wird - ähnlich dem Archimedischen Prinzip. Wird eine schwere Last, wie eine dicke Gletscherschicht oder eine massive Gesteinsdecke, von der Erdkruste entfernt, so wird diese „entlastet“ und durch die Kräfte des darunter liegenden Erdmantels nach oben gedrückt. In diesem Fall ist die Erdkruste vergleichbar mit einem leichten Floß, das auf dem zähflüssigen Erdmantel schwimmt.


Durch die Erosion der Flüsse wurde der Krustenblock, auf dem der Everest ruht, immer weniger massiv, so dass er sich isostatisch anhob. Forscher haben berechnet, dass der Everest in den letzten 89.000 Jahren durch diese Erosions- und Hebungsprozesse um 15 bis 50 Meter gewachsen ist.


Beispiel Skandinavien: Postglazialer Rückstoß


Ein ähnlicher Prozess ist der so genannte postglaziale Rebound, der heute noch in Skandinavien zu beobachten ist. Während der letzten Eiszeit wurde die skandinavische Erdkruste durch das Gewicht der dicken Eisschichten tief in den Erdmantel gedrückt. Als die Eismassen vor etwa 10.000 Jahren zu schmelzen begannen, wurde die Kruste allmählich leichter und begann sich langsam zu heben. Dieser Prozess dauert bis heute an, und Teile Skandinaviens heben sich immer noch um mehrere Millimeter pro Jahr.



Der Hauptfaktor, der den Mount Everest in die Höhe treibt, ist und bleibt die Kollision der Indischen mit der Eurasischen Platte. Diese Plattenkollision begann vor etwa 50 Millionen Jahren und ist für die Entstehung des Himalayas verantwortlich. Die kontinuierliche Hebung des Mount Everest ist also in erster Linie auf die fortwährende tektonische Aktivität zurückzuführen. Flusserosion und isostatische Anpassung fügen dem Prozess jedoch eine zusätzliche, subtile Dynamik hinzu.


Fazit: Ein komplexes Puzzle aus Erosion und Plattenkollisionen


Professor Jingen Dai, Koautor der Studie, erklärt: „Unsere Studie zeigt, wie Veränderungen in Flusssystemen tiefgreifende Auswirkungen auf die Geomorphologie haben können. Obwohl tektonische Plattenkollisionen der Hauptfaktor für das Wachstum des Mount Everest sind, bringt das Eindämmen von Flüssen eine zusätzliche Dynamik in das ohnehin schon komplexe geophysikalische Puzzle“.


Der Mount Everest wächst also nicht nur durch die Kräfte der Plattenkollision, sondern auch durch die subtilen Auswirkungen eines Flusses, der vor Jahrtausenden begann, die Landschaft des Himalaya zu verändern.

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